Brigitte Zarzer 08.09.2001
Die Weitergabe von personenbezogenen Daten brachte österreichische Genua-Aktivisten in Bedrängnis und führte zu einer Diskussion über den unkontrollierten polizeilichen Datenaustausch im EU-Parlament
Wenn Verdachtsmomente an ausländische Behörden weitergegeben werden, kann das fatale Folgen haben, wie sich im Fall der mehr als drei Wochen inhaftierten VolxTheater-Kulturkarawane gezeigt hat. Datenschützer, Oppositionspolitiker und die betroffenen Genua-Aktivisten mobilisieren jetzt für die “Entrümpelung” der österreichischen Polizeidatenbanken. Die Debatte erreichte inzwischen auch Straßburg. Grüne und Linksparteien warnen vor polizeilichem Informationsaustausch ohne Kontrolle.
Folgendes geschieht: Die linke Performance-Gruppe VolxTheater wird nach dem G8-Gipfel in Genua festgenommen. Indes übermitteln österreichische Sicherheitsbehörden belastendes Material gegen einige Mitglieder der Truppe nach Italien. In der Folge wird beim ersten Haftprüfungstermin negativ entschieden. Alle fünfundzwanzig VolxTheater-Teilnehmer, darunter auch zwei Deutsche, bleiben weitere zwei Wochen in Haft.
Vergangenen Dienstag gab das Genueser Gericht überraschend Details bekannt, die dann letztlich doch zur Freilassung geführt hatten und äußerte zudem Befremden über die Polizeidatenübermittlung. “Für Verwunderung sorgten bei den Richtern in Genua auch die von der österreichischen Polizei übersandten ‘Vormerkungen’ zu einzelnen Aktivisten. Italienische Behörden hätten annehmen müssen, dass es sich dabei um aktuelle, mit Anzeigen gestützte Vorwürfe handle (was so nicht stimmte). Die Richter erheben den indirekten Vorwurf, dass die österreichische Polizei falsch informiert habe”, berichtet der “Standard”.
Diese Einschätzung der italienischen Justiz bestätigt all jene, die in den vergangenen Wochen lautstark eine Aufklärung der Causa und zwar insbesondere des grenzüberschreitenden Informationsaustausches gefordert hatten. Die Oppositionsparteien, SPÖ und Grüne plädieren für einen Untersuchungsausschuss. Datenschützer sehen ihre schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Juristen prangern “rechtswidrige Versäumnisse in der Datenpflege” an. Und schließlich starteten die Betroffenen selbst eine Kampagne. Möglichst viele österreichische Bürgerinnen und Bürger sollen sich daran beteiligen. Ziel ist es, Daten abzufragen und später auf deren Löschung hinzuwirken. “Die Ministerien sollen in Anfragen untergehen (im Idelafall)”, heißt es in einer Aussendung der VolxTheater-Karawane.
Wirbel um polizeilichen Datenmüll
Nach der sogenannten Spitzelaffäre, in der gegen hochrangige FPÖ-Funktionäre, wegen Verdacht auf illegale Datenbeschaffung ermittelt wurde, steht die österreichische Polizeidatenbank EKIS neuerlich im Kreuzfeuer der Kritik. Insbesondere der “Kriminalpolizeiliche Aktenindex” hat es den Datenschützern angetan. “Über EKIS haben die Sicherheitsbehörden Zugriff auf verschiedene Dateien. Eine davon ist der KPA. In diesem Aktenindex werden Anzeigen aller Art gespeichert, sogar ein Beschwerdebrief gegen den Innenminister könnte dort vermerkt werden”, erklärt Hans Zeger von der ARGE Daten. Er führt seit langem einen Kreuzzug gegen den dort gehorteten Datenmüll. “Die Causa VolxTheater ist ein plastisches Beispiel, das zeigt, was mit Daten angerichtet werden kann. Ich glaube, der kriminalpolizeiliche Aktenindex ist einmalig in Europa.”, so Zeger gegenüber Telepolis.
Die gespeicherten Verdachtsmomente gegen VolxTheater-Mitglieder schienen später in der Anklageschrift der Italiener als “Vorstrafen” auf. Die Erregung in Österreich ist groß, zumal sich bei manchen das mulmige Gefühl einstellte, dass sie unter widrigen Umständen ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. “Man muss die österreichische Bevölkerung – und da geht es nicht nur um Demonstranten – vor EKIS schützen”, resümierte etwa der Grün-Abgeordnete Peter Pilz und forderte eine Entsorgung des “Giftschranks”.
Inzwischen beschäftigt die Affäre etliche österreichische Juristen. Der VolxTheater-Anwalt, Wilfried Embacherwill sich die Datenschutzfrage im Auftrag seiner Mandanten sehr genau ansehen. Peter Pilz hat über ein anderes Anwaltsbüro eine Anzeige gegen unbekannt eingebracht, die den Informationsfluss zwischen inländischen Ministerien und ausländischen Behörden zum Gegenstand hat. Thomas Prader, von der gleichnamigen Kanzlei, verfasste schließlich einen Kommentar für die Tageszeitung “Der Standard” und brachte die Sache auf den Punkt.
“Wird in Österreich eine Person wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung angezeigt, wird dieser Vorwurf sofort von den Sicherheitsbehörden gespeichert. Damit gilt der Betroffene als vorgemerkt. (…) Die Tatsache, dass das Strafverfahren mit Freispruch endete, wird hingegen nicht in die Daten aufgenommen. Somit ist für die Sicherheitsbehörden, die Zugriff zum KPA haben, nur ersichtlich, dass gegen den Betroffenen weiterhin ein Strafverfahren anhängig ist. Da diese Information wesentlichen Einfluss auf allfällige weitere Vorwürfe und Verfahren haben kann, wird so die Unschuldsvermutung permanent verletzt.” | ||
Trotz eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs im März dieses Jahres wurde der KPA offensichtlich bis dato nicht aktualisiert. Datenmüll gelangte nach Italien. Das österreichische Innenministerium verteidigt sich damit, dass es keine Rechtsgrundlage für die Kooperation zwischen Justiz und Sicherheitsbehörden gebe. Die Polizei würde nicht vom Ausgang eines Verfahrens in Kenntnis gesetzt. Anwalt Prader interpretiert das anders: “Das bedeutet nichts anderes, als dass die Jäger und Sammler des KPA in den letzten Jahren zwar fleißig Daten gespeichert haben, nun aber die Einhaltung der Grundrechte nicht mehr gewährleisten können.”
Fragwürdige Speicherung von Verdachtsmomenten
Die Speicherung von Verdachtsmomenten in Datenbanken der Sicherheitsbehörden ist im übrigen kein spezifisch österreichisches Problem. Im deutschen INPOL-System “werden insbesondere Daten über Beschuldigte, von Verdächtigen aber auch von sogenannten potenziellen Straftätern erfasst”, erklärt Helga Schumacher, Pressesprecherin des deutschen Bundesbeauftragten für Datenschutz. Im Zuge des verbesserten Informationsaustauschs zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden könnten solche Dateien unbescholtene Bürger, insbesondere Demonstrationsteilnehmer, in Schwierigkeiten bringen. Vorschlägen wie Schily’s Forderung nach einer europaweiten Datenbank potenzieller Demo-Gewalttäter, stehen die Datenschützer überaus skeptisch gegenüber:
“Da der Bundesinnenminister zu seinem Vorschlag nicht die nötige Unterstützung der anderen EU-Staaten fand, musste sich der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht damit befassen. Gleichwohl ist ein solches Projekt sehr bedenklich, vor allem weil zu befürchten ist, dass darin auch Daten friedfertiger Demonstranten gespeichert werden könnten, wenn eine Demonstration – leider – gewalttätig verläuft”, erklärt Schumacher. “Letztlich sind differenzierende Aussonderungsprüffristen – gerade im Blick auf die Voraussetzungen, etwa bei schwachen Delikten, wie ein nicht befolgter Platzverweis – der abgewogenste Kompromiss zwischen Wahrnehmung der Meinungsfreiheit mittels einer Demonstration, Aufgaben der Polizei und Wahrung des Persönlichkeitsrechts, natürlich möglichst unterstützt durch Kontrollen der Datenschützer”, meint man im Büro des Datenschutzbeauftragen.
Nachwehen des G8-Gipfels gab es inzwischen auch im EU-Parlament. In einer Plenardebatte diskutierte man die Datenschutz- und Grundrechtsproblematik. Der EU-weiten Kooperation der Exekutive fehle der Rechtsschutz sowie die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle auf der EU-Ebene, kritisierte der EU-Abgeordnete der Grünen, Johannes Voggenhuber. Laut einem Bericht der “Salzburger Nachrichten” bemängelte er die inoffizielle Zusammenarbeit der Polizei mehrerer Mitgliedsländer, insbesondere den grenzüberschreitenden Informationsaustausch. Genua sei zu einem “Datenverschiebebahnhof großen Ausmaßes” geworden, wird der Abgeordnete zitiert.