Viele Jahre lang arbeitet Manfred K. als Informatiker bei der Nato – bieder, unauffällig, pflichtbewusst. Dann kommt heraus: Der 60-Jährige soll brisante Informationen gestohlen haben und auf geheimen Konten Millionen Euro bunkern. Ist er ein Spion?
Koblenz – An dem Dorf bei Kaiserslautern ist die Weltgeschichte bislang ohne Zwischenstopp vorbeigesaust. Es gibt wenig Sehenswürdigkeiten und noch weniger Persönlichkeiten, die irgendwie von Bedeutung gewesen wären. Man könnte sagen, in dem 900-Seelen-Nest ist die Welt noch in Ordnung, doch seit einigen Monaten stimmt auch das nicht mehr.
Damals, es war im Herbst 2012, kamen Bundesanwälte, Staatsschützer des Landeskriminalamts, Agenten des Militärischen Abschirmdiensts. Sie durchsuchten ein schnödes Einfamilienhaus nahe der Hauptstraße und sie taten es gründlich. Lösten die Tapeten von den Wänden, schleppten alle Möbel in den Garten, setzten ein Bodenradargerät ein. Sie sollten fündig werden.
Unter einer Fliese im Keller und hinter einer Fußleiste in der Küche entdeckten die Ermittler zwei USB-Sticks mit brisanten Geheiminformationen der Nato. Es ging um Einsatzplanungen, Luftlagebilder, um IP-Adressen und Passwörter für Programme, wie sie das Bündnis auch in Kampfeinsätzen verwendet. Ein Offizier nennt das Material “brisant”. Eine “Weitergabe hätte uns sicherlich sehr geschadet”.
Prozess wegen Landesverrats
Der Hausherr, Manfred K., der 34 Jahre lang als IT-Fachmann bei der Nato gearbeitet hatte, wurde daraufhin festgenommen. Von Mittwoch an muss sich der Wirtschaftsinformatiker wegen “landesverräterischer Ausspähung” vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten, ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Dabei ist noch vollkommen unklar, wozu K. die Informationen hortete und ob er bereits in der Vergangenheit Daten an ausländische Nachrichtendienste verkauft hat. Immerhin verfügte der 60-Jährige, der zuletzt auf dem US-Militärflughafen Ramstein arbeitete und monatlich mehr als 7000 Euro netto verdiente, über ein Vermögen von 6,5 Millionen Euro. Das Geld hatte er bei Fondsgesellschaften in Luxemburg und Großbritannien angelegt. Teilweise soll er auch hohe Beträge in bar eingezahlt haben.
Die entscheidenden Fragen sind daher: Woher stammen die Millionen? Sparten die Eheleute K., die in sehr bescheidenen Verhältnissen lebten, bloß eisern? Ließ sich K., zuständig für die Beschaffung von Computer und Software, vielleicht von Unternehmen schmieren? Oder verkaufte er doch ausländischen Agenten brisante Nato-Papiere? Weder die Bundesanwaltschaft noch die Verteidigerin von Manfred K. wollten sich dazu auf Anfrage äußern.
Bilder aus Panama
Unstrittig ist hingegen, dass K. und seine Frau Deutschland zumindest vorübergehend den Rücken kehren wollten. So bemühte sich der IT-Experte seit Längerem intensiv darum, Aufenthaltsgenehmigungen für Panama zu bekommen, wozu Einkommensnachweise nötig waren. Auch fanden die Ermittler auf diversen Sticks zahlreiche Bilder aus Mittelamerika. Wollte Manfred K. flüchten?
Gegen eine nachrichtendienstliche Tätigkeit des Angeklagten scheint jedoch die Art seines Vorgehens zu sprechen. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen gelang es ihm im März 2012, die teilweise als geheim eingestuften Unterlagen an einem internen Sicherheitscheck vorbei auf seinen Dienstcomputer zu laden. Von dort aus sandte K. sie wohl über seinen Nato-Account an seine private GMX-Adresse und speicherte sie anschließend auf verschiedenen Medien. Besonders konspirativ war das nicht.
Die beiden Agenten des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, die kürzlich vom Oberlandesgericht Stuttgart zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, gingen anders vor. Sie ließen sich von einem Mitarbeiter des Den Haager Außenministeriums Hunderte vertrauliche Dokumente liefern. Die Übergabe der Papiere erfolgte zumeist in den Niederlanden, danach deponierte der Agent die Akten in “toten Briefkästen” im Raum Bonn, wo sie anschließend von Mitarbeitern der russischen Botschaft abgeholt wurden.
Und noch etwas erscheint seltsam im Fall Manfred K.: 2010 ließ der Nato-Mitarbeiter über längere Zeit eine große Nähe zur NPD erkennen. Er besuchte öffentliche Veranstaltungen der Partei und spendete ihr 3000 Euro. Angeblich wollte er auf diese Weise einen Verlust seiner Zugangsberechtigung zu Geheiminformationen und damit seine Frühpensionierung provozieren. Doch falls das wirklich sein Plan war, ging der nicht auf. Es dauerte noch geraume Zeit, bis K. dem Verfassungsschutz und der Nato-Spionageabwehr auffiel. Die Militärs wandten sich schließlich an die Bundesanwaltschaft.
Als Beamte ihn Anfang August 2012 in seinem Heimatdorf festnahmen, war Manfred K. bereits seit einer Woche Rentner.
16. Juli 2013, 14:28 Uhr
Von Jörg Diehl
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